DER MOMENT IST EWIGKEIT

Hermann Nitsch

Ich hatte das Glück, Andrea Simon an der Hochschule für bildende Künste in Frankfurt zehn Semester als meine Schülerin zu haben. In gewisser Weise war ihr Entwicklungsweg ein natürlich unverkrampfter. Sie vollzog die Geschichte der Malerei gleichsam am Beispiel ihrer eigenen Entwicklung. Sie begann mit gegenständlichen Formulierungen, ihr Farbauftrag wurde immer sinnlicher, ihre Bilder strotzten vor pastoser Farbanhäufung, der Gegenstand trat immer mehr zurück, das Malen selbst wurde zum Hauptereignis. Nicht das Dargestellte war das Wichtigste, das Ereignis des Malens wurde zum Wesentlichen.

Ich konnte es noch erleben, dass der Gegenstand von ihr zur Gänze überwunden wurde. Ihre Bilder sind nun nur mehr Veranschaulichung des sinnlichen Umgangs mit der Farbsubstanz, mit der Farbflüssigkeit, mit der Farbpaste, dem Farbschleim. Sie erreicht eine zeitlose Aktionsmalerei, zeitlose, informelle Gestaltungen entstehen.

Die informelle Malerei und der abstrakte Expressionismus interessierten sich mehr für die Farbmaterie, die Farbsubstanz. Daher beschäftigten die großen Maler dieser Zeit nicht so sehr die Farbklänge (Töne). Grau- und Braunwerte, Schwarz und Rot herrschten vor. Die Psychoanalyse erweiterte das Verständnis der Farbsubstanz bis zum Kot. Malerei wurde zum therapeutischen Vorgang, lotete bis in die Tiefe des Unbewussten und machte Verdrängtes bewusst.

Andrea Simon ist eine Ausnahme. Das Erkennen des Farbmaterials, der Farbsubstanz wurde von ihr vollzogen, aber ihr oft dicker pastoser Farbauftrag leuchtet, ist mit herrlichsten Blumenfarben ausgerüstet. Eine mozarthafte Leichtigkeit und Unbeschwertheit wird erreicht. Es tut unserer Zeit gut, dass solche Bilder entstehen können. Ein analytisches Vorgehen wird mit einem Farbenrausch verbunden, eine Orgiastik des Malens wird zum Fest. An ihren Bildern merkt man, dass durch die informelle Malerei die Kunst spontaner und dionysischer geworden ist und mit dem Zufall besser umgehen kann.