SCHATZ FÜR DIE SINNE ODER VON DER LUST ZU SEHEN
Gert Heiland
Die Bilder von Andrea Simon spürt man zuerst im Bauch. Noch bevor der Verstand zu arbeiten beginnt, weiß man: Hier war eine Vollblutmalerin am Werk. Eine voller Leidenschaft, ja Besessenheit für die Farbe. Eine die dafür brennt, deren Möglichkeiten auszuloten. Eine mit dem Vermögen, dies auch für andere nachvollziehbar zu machen. Dabei ist Farbe für diese Künstlerin nicht mehr der Träger von Information. Andrea Simon hat die Farbe von der sie fesselnden Form befreit, damit sie für sich stehen und wirken kann. Ein künstlerisches Statement, das selten ist.
Diese Malerei macht Worte eigentlich überflüssig. „Sehen, nicht erklären“ sei wesentlich, sagt Andrea Simon, das „Sich einlassen“ auf die Bilder, nicht das Denken. Denn der Betrachter bekommt, was er sieht: Farbe und Struktur. Keine Form, keine Themen, keinen Theorieansatz, keine Motive, keine psychologische Erklärung. Er bekommt nicht mehr, aber auch nicht weniger als starke Bilder einer starken Frau, deren künstlerischer Weg bis heute zweier Befreiungsschläge bedurfte, um sie zu der Malerin zu machen, die sie ist.
Der erste fand um 1997 statt: Andrea Simon lebt in Chile. Das Land und sein Licht frischen ihre Farbpalette auf, die bis dahin mitteleuropäisch zurückhaltend war. Diese Farbigkeit nahm die ehemalige Städelschülerin mit zurück. Der zweite Befreiungsschlag ereignete sich 2006. Suchte die Malerin bis dahin, der Farbe durch konturenhafte, kraftvoll wirkende Figuren Halt zu geben, eine Orientierung für den Betrachter in diesen Farbgewittern, so verschwand die Figur nun. Seitdem haben wir es mit der puren, ungestümen Natur dieser Bilder zu tun, dürfen wir mit fast allen Sinnen in diese rastlosen Farbenmeere eintauchen, verwöhnt und fordert die Künstlerin uns mit diesen Gemälden.
Sie zu schaffen, ist eine intensive und intuitive Auseinandersetzung mit Farbe und deren Modulationen, ein Ausloten der Kräfte und Spannungen. Die Malerin setzt eine Farbe auf die Leinwand. Die eine Farbe reagiert mit einer anderen, und so entwickelt sich Zug um Zug ein spannender Dialog, der Malprozess, intensiv, schnell, der immer wieder Veränderungen erfährt. Dieser produktive Disput auf der Leinwand braucht Zeit.
Entstanden sind Kompositionen, bei denen, wie in einem Musikstück, das Zusammenspiel der Töne das Werk ausmacht. Und die Werke von Andrea Simon berühren, bringen in uns eine Saite zum Klingen. Jedes Gemälde eine Symphonie, ein Mikrokosmos aus unzähligen Farben. In prachtvoller Fülle vereinen und bewegen sie sich in vielen aufeinandertreffenden, zum Teil aufreißenden Schichten, sie treten in Beziehung, geben Tiefe und Innerlichkeit preis. Zeitlose Malerei, deren Sinnlichkeit in der visuellen Wahrnehmung, der Körperlichkeit des pastosen, fast skulpturalen Auftrags offenbar wird, deren Grate und Strukturen man anfassen, fühlen, erkunden möchte.
Andrea Simon zelebriert die Möglichkeiten der Farbe immer wieder neu, jedes Bild eine Wiedergeburt, ein Neuanfang auf der Suche nach dem perfekten Gleichgewicht, nach Harmonie, nach Spannung. Für uns, die Betrachter, bleibt die egoistische Hoffnung, dass sie das perfekte Bild nie malen wird. Wohl aber viele weitere, die jenem Anspruch gerecht werden, den Andrea Simon für sich formuliert hat: „Ich spüre das Bild, und wenn mein Herz klopft, ist es gut.“